Jetzt ist er unser...

Festgottesdienst zur Einführung von Kantor Thomas Frerichs am
4. September 2005

„Musik ist ein Echo auf das ganze Leben“, befand Pfarrerin Silke Grigo in ihrer Predigt zur offiziellen Einführung unseres Kirchenmusikers. Und Thomas Frerichs deckt in der Tat mit seiner musikalischen Vielfalt das ganze Leben ab. Neben der klassischen Kirchenmusik spielt er Jazz, Blues, Pop, Schlager, kölsche Lieder und vieles mehr. Geschätzt wird er auch für seine Improvisationen, die er meist am Ende der Gottesdienste auf dem Klavier spielt.

Thomas Frerichs wurde 1970 in Oldenburg geboren und absolvierte sein Studium der Kirchenmusik in Herford und Köln. Die Kölner Gemeindeglieder kennen ihn schon seit November 1999, seit dieser Zeit war er als nebenamtlicher Kirchenmusiker beschäftigt. Es war den Gemeindegliedern der Kartäuser- und der Lutherkirche ein besonderes Anliegen, die Festanstellung des Musikers durchzusetzen.

Der Festgottesdienst war Anlass, dass diesmal gleich beide seiner Chöre auftraten, der klassische Lutherchor und der musikalisch gemischte Südstadtchor. Es gab sogar eine Premiere, weil die Chöre erstmals vereint sangen. Der Gospel „Nobody knows the trouble I’ve seen“ war so rhythmisch, dass auch die Gemeinde kräftig mithielt. Im Anschluss warteten die Chöre dann noch mit einer Überraschung für ihren Chorleiter auf. Sie hatten Lieder auf ihn umgedichtet und trugen sie nach dem Gottesdienst in fröhlicher Runde vor. Damit sorgten sie für einen schwungvollen Übergang zu der kulinarischen Feier, die bei Kaiserwetter im stimmungsvollen Innenhof der Kartause stattfand.

Pfarrerin Silke Grigo hat sich in ihrer Predigt tiefe Gedanken zur Beziehung zwischen der Musik, den Menschen und Gott gemacht. Wer mehr erfahren möchte, hat hier Gelegenheit, die Predigt noch einmal nachzulesen.

Text: Helga Fitzner

 

Predigt von Silke Grigo über die Macht der Musik

„Liebe Gemeinde,
Warum gehört Musik ganz wesentlich zum Leben einer Gemeinde? Warum reicht das gesprochene Wort allein nicht aus, wenn wir unseren Glauben leben und stärken wollen? Der Grund dafür liegt darin, dass Musik die Vielfalt und Buntheit unseres Lebens besonders intensiv zum Ausdruck bringt. Was könnte die Vielschichtigkeit des Lebens besser widerspiegeln als die Vielschichtigkeit von Tönen, die sich zu Harmonien, Disharmonien und Clustern verbinden? Was könnte ein besseres Echo auf die Vielfalt des Lebens sein als der unausschöpfliche Klangreichtum von Instrumenten und menschlichen Stimmen? Wer Psalmen und Lobgesänge singt, wer Zimbel, Harfe, Pauken, Trompeten, Orgel, Klavier und vieles mehr erklingen lässt, der oder die bringt sein oder ihr ganzes Leben in seiner Fülle vor Gott.

Dass Musik ein Echo ist auf das ganze Leben, – auf seine Traurigkeiten, seine Freude, seine Einengungen und seine Kraft, – das machen viele biblische Geschichten und Verse deutlich: Die Musik spielt in der Bibel zu freudigen Anlässen, da, wo Menschen dafür danken, aus großer Gefahr gerettet worden zu sein. Nachdem zum Beispiel das Volk Israel vor seinen ägyptischen Verfolgern gerettet worden ist, schlägt die Prophetin Mirjam zusammen mit anderen Frauen die Pauke. Sie singt und tanzt mit ihnen, um Freude und Befreiung mit allen Fasern des Körpers und der Seele zu spüren. Die Musik spielt in der Bibel aber auch eine große Rolle als Stärkungsmittel für angeschlagene Seelen. Als König Saul eine Phase der Angst und Niedergeschlagenheit durchlebt, findet er Trost und Erleichterung, indem er dem Harfenspiel Davids zuhört. Und auch die Schreiberin oder der Schreiber des Epheserbriefs rät den Leuten in Ephesus, die offensichtlich eine Aufmunterung gebrauchen können, sie in der Musik, in Psalmen, Lobgesängen und geisterfüllten Liedern zu suchen. Schließlich werden in der Bibel auch Lieder der Verzweiflung gesungen, von Menschen, die ihre Lage als quälend und aussichtslos erleben. Musik ist ein Echo auf alles, was zum Leben gehört. Ihre Kraft ist von oberflächlicher Heiterkeit sehr wohl zu unterscheiden.

Und gerade, weil sie ein Echo auf alles ist, was zum Leben gehört, steckt in der Musik die Kraft der Lebensbejahung und der Heilung. Sie kann das Gefühl der Dankbarkeit für das Leben vertiefen. Sie kann den Genuss am Leben vertiefen. Sie kann trösten und ungeahnte Widerstandskräfte freisetzen. Das gilt in besonders für die Gospels, von denen wir einige in diesem Gottesdienst hören. Gospels sind das gesungene Evangelium der aus Afrika nach Amerika verschleppten Sklaven und Sklavinnen gewesen, Musik der Klage und der Widerstandskraft, – ein Gesang, der mutig das Elend benennt, das die Gesellschaft von Sklavenhalter*innen hervor-brachte, und zugleich die Weigerung der Sklav*innen ausdrückt, sich auf dieses Elend reduzieren zu lassen. Ein Gospel, das wir nachher noch zusammen singen werden, hat den Text: „Nobody knows the trouble, I have seen, nobody knows but Jesus. Nobody knows the trouble I have seen. Glory halleluja.“ Ein gesungenes “Trotzdem”, in dem sich die Hoffnung ausdrückt, dass unser Leben nicht nur ein Echo in der Musik, sondern ebenso ein Echo bei Gott findet. Ein gesungenes „Trotzdem“, in dem sich die Hoffnung ausdrückt, dass die Musik und Gott hinsichtlich ihrer Fähigkeit, ein kraftvolles, heilsames Echo auf unser Leben zu geben, nahe Verwandte sind.

Von der Verwandtschaft zwischen Gott und der Musik redet auch der Vers aus dem Epheserbrief: „Ermuntert/ermutigt einander mit geisterfüllten Liedern.“ (Eph 5,16) Gemeint ist der Geist Gottes. Das Wort „Geist“ ist im Hebräischen und Griechischen zugleich das Wort für „Atem“. Geisterfüllte Lieder sind also Lieder, aus denen uns der lebendige Atem Gottes anweht. Der Epheserbrief beschreibt damit Musik als eine besonders intensive Art und Weise Gottes, uns zu berühren. Gerade der Gesang, der selber vom Atem lebt, bringt uns mit dem lebendigen Atem Gottes in Berührung. Und von dieser Berührung lebt unser Glaube. Deshalb kommt eine lebendige Gemeinde nicht ohne Musik aus.

Indem Gott uns durch die Musik mit seinem/ihrem lebendigen Atem berührt, bekräftigt er seine Fähigkeit und Bereitschaft, unser Leben, unsere körperliche und geistige Existenz zu teilen. „Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit“, steht im Johannesevangelium (1,14). Dort ist davon die Rede, dass Gott im Menschen Jesus zur Welt kam. Gerade, wenn wir das glauben und ernst nehmen, kann uns das darin bestärken, noch mit weiteren Wegen zu rechnen, auf denen Gott körperlich fassbar zur Welt kommt. Musik ist einer dieser Wege.
Was können wir gewinnen für unser Leben, wenn wir eine Verwandtschaft zwischen Gott und der Musik annehmen, – eine Verwandtschaft hinsichtlich ihrer Fähigkeit, ein kraftvolles Echo auf unser Leben zu geben?

Vielleicht kann diese Annahme unser Nachdenken darüber vertiefen, wie Gott ein Echo auf unser Leben gibt. Die Frage, wie es eigentlich um die Macht Gottes bestellt ist, Leiden zu verändern und zu beseitigen, ist umstritten und verursacht im Leben vieler gläubiger Menschen immer wieder schmerzhafte Risse. Die Vorstellung von einem Gott, der – einem Marionettenspieler gleich – von oben die Fäden zieht und nach Belieben Böses und Schmerzliches verhindern kann, ist vielen Menschen nicht mehr plausibel. Gleichzeitig bleibt die Frage, welcher Art die Macht Gottes denn dann ist, wenn dieses göttliche Marionettenspiel so offensichtlich nicht funktioniert. Gibt es eine göttliche Kraft, die unsere übersteigt und auf die wir hoffen können?

Möglicherweise ist diese Kraft tatsächlich dem heilsamen Echo der Musik vergleichbar. Wenn ein Musikstück oder ein Lied zum Beispiel ein Echo gibt auf die Trauer eines Menschen, dann verschwindet die Trauer nicht einfach, aber sie wird in einen Klang verwandelt. Und das ist eine tief greifende, befreiende Veränderung. Stumme Trauer kann lähmend sein. Aber wenn sie zum Klang wird, dann ist sie wieder an den Lebensfluss angeschlossen. Das drückt sich zum Beispiel darin aus, dass Trauer, die jemand in einem Lied oder Musikstück zum Klingen gebracht hat, anderen Menschen in ihrer Trauer helfen kann. Musik hat diese verwandelnde Kraft, weil sie die Vielfalt des Lebens in sich aufnehmen kann und doch mehr ist als die Erfahrungen, die sie in sich aufnimmt. Sie hat auch ein Eigenleben und folgt eigenen Gesetzen. Vielleicht hat die Macht Gottes Ähnlichkeit mit dieser Kraft der Musik, etwas Eigenständiges und gleichzeitig etwas Bergendes zu sein, etwas, das anderes in sich hinein nehmen und zum Leichteren, Freieren oder Lebendigeren verwandeln kann. Vieles in biblischen Texten spricht dafür. Die Macht Gottes ist dann subtiler als die eines Marionettenspielers, aber sie ist dennoch wirksam.

Lebendiger Gott, segne unser Reden und unser Hören.
Amen.“