Nicola Landgrebe
Seit 2023 an der Lutherkirche
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Nicola Landgrebe ist 1967 in Augsburg geboren. Sie ist im ersten Beruf Schauspielerin und hat viele Jahre in diesem Beruf hauptsächlich in Hamburg, Bochum und in Mülheim an der Ruhr gearbeitet. Im Alter von 42 Jahren begann sie in Bonn Theologie zu studieren. Seit ihrem Examen hat sie an verschiedenen Kölner Gemeinden ihren neuen Beruf ausgeübt, so in Raderthal und Frechen. Nun wagt sie das Experiment, probeweise jeweils eine „halbe Pfarrerin“ an zwei Kirchen zu sein, der Lutherkirche und der Thomaskirche hier in Köln-Mitte. Sie liebt die biblischen Sprachen, durch die sie zur Theologie gekommen ist. Und natürlich liegt ihr auch das kulturelle Leben in Köln sehr am Herzen, aber vor allem die verschiedenen Menschen, die hier leben und sich gegenseitig inspirieren. Offenheit und Interesse an Glaubensfragen, das wünscht sie sich von den Menschen hier vor Ort.
Foto links: Nina Schöner, alle anderen Niki Siegenbruck
Liebe Nicola Landgrebe, wir freuen uns sehr, Sie als neue Pfarrerin begrüßen zu können. Es handelt sich aber noch nicht um eine endgültige Lösung.
Meine Anstellung mit je einer halben Stelle an der Lutherkirche und an der Thomaskirche ist erst mal ein Versuch. Wie das wirklich an beiden Kirchen funktioniert, kann ich erst sagen, wenn ich es probiert habe. An der Lutherkirche habe ich schon Kindergottesdienste, Sankt Martin, Nikolaus und die Christvesper durchgeführt. Ab Januar bin ich dann offiziell den beiden genannten Kirchen zugeordnet. Dabei bleibt eine Aufgabe an der Kartäuserkirche erhalten, da der Konfirmandenunterricht dort für die Jugendlichen der Lutherkirche und der Kartäuserkirche gemeinsam stattfindet. Ich werde versuchen, eine „ganze“ Pfarrerin für beide Kirchen zu sein, aber praktisch wird es die „Kunst des Möglichen“ sein. Es bleibt also spannend.
Zwei halbe Stellen für zwei ganze Kirchen. Das klingt nach viel Arbeit.
Es kann nicht alles an jedem einzelnen Ort stattfinden; man wird sehen müssen, ob man z. B. Angebote zusammenlegen kann. Es wird auch sehr auf die Mitarbeit und Unterstützung der Ehrenamtler:innen ankommen.
Erzählen Sie doch bitte ein wenig über sich selbst!
Ich wurde 1967 in Augsburg geboren und bin über meinen Beruf als Schauspielerin zunächst in Hamburg gelandet. Ich war dort auf der Schauspielschule und lange am Thalia-Theater. Anfang der 2000er Jahre war ich ein paar Jahre am Theater Mülheim an der Ruhr. Dann habe ich meinen Mann kennengelernt, der Pfarrer ist, und über mein Faible für die Bibelsprachen Hebräisch und Altgriechisch habe ich mein Interesse an der Theologie entdeckt. Ich habe als Schauspielerin weitergearbeitet, aber zeitgleich Theologie in Bonn studiert; ich war 42 Jahre alt, als ich mein Studium begann. Ich habe das Regelstudium absolviert und 2017 das erste Examen gemacht. Für das Vikariat war ich in Köln-Raderthal und für den Probedienst in Frechen und dann bin ich hier nach Köln-Mitte gekommen. Eine kleine Kölner Rundreise durch verschieden Gemeinden; das war wirklich eine höchst interessante und inspirierende Zeit. Das wird vermutlich weiter so sein, da bin ich sehr optimistisch.
Man muss als Schauspielerin immer das sagen, was andere geschrieben haben und es so umsetzen, wie andere es bestimmen. Ist es anders, wenn man einen Gottesdienst gestaltet, auch wenn das Thema vorgegeben ist?
Ja, das ist eine große Freiheit und auch eine intellektuelle Herausforderung mit Risiko. Die Gestaltungsfreiheit ist etwas ganz Tolles, aber da ist auch die Mühe und die Verantwortung, für das, was man sagt. Es geht ja um das Wort Gottes, das ich versuche so ernst zu nehmen, wie es geht. Am Anfang bin ich häufiger gefragt worden, ob ich als Pfarrerin jetzt eine Rolle spiele. Aber das ist wirklich etwas ganz anderes. Der Schutz einer Theaterrolle z. B. fällt komplett weg. Die Schauspielausbildung bringt auf der anderen Seite auch große Vorteile, allein von der Sprachschulung her; aber ein Gottesdienst ist wirklich eine ganz eigene Art der öffentlichen Rede. Und sich über einen Predigttext Gedanken zu machen, ist etwas völlig anderes als sich eine Rolle anzueignen.
Wir sind als Lutheraner bunte und durchaus ungewöhnliche Gottesdienste gewöhnt. Können wir denn jetzt auf eine Pfarrerin mit Stepptanz und Federboa hoffen?
(Lacht) Nein. Da muss ich wohl enttäuschen. Ich bin keine Entertainerin. Ich glaube von mir, gut mit Menschen aller Altersgruppen umgehen zu können, aber eben auf meine Art. Ich denke, dass die Leute das auch anerkennen, wenn jemand seinen eigenen Stil hat, anstatt andere zu kopieren. Das gilt im Übrigen auch für die Schauspielkunst.
Aber Pfarrerin ist ein so schöner Beruf. Die Leute, die in den Gottesdienst kommen, können über Glaubensdinge nachdenken. Ein Gottesdienst kann natürlich fröhlich, temperamentvoll und lebendig sein. Und es ist ja nicht mein Gottesdienst in dem Sinne, dass es von mir abhinge, ob ein Gottesdienst als gut empfunden wird; denn als Evangelische sind alle mit beteiligt. Es ist doch überall so, wenn es menschlich irgendwie stimmig ist, kann man ziemlich optimistisch auf eine Aufgabe zugehen. Und die Gemeinde erlebt ja auch unterschiedliche Prediger:innen, was ein großer Gewinn ist.
Sie wollen als Pfarrerin nicht über allen und allem stehen, und auch den Leuten nicht vorgeben, was sie zu denken und zu glauben haben?
Das wäre ja schrecklich. Denn durch die Taufe sind wir freie Menschen. Luther sagte das so: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr aller Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan.“ Das heißt, dass wir Gott verantwortlich handeln sollen. Jeder hat bestimmte Vorlieben und seinen Charakter, wie ein lebendiger Organismus halt ist. Die eigene kulturelle Prägung kann man nur bedingt ändern und jeder Mensch bevorzugt natürlicherweise eine Kultur, die ihm oder ihr selber gut entspricht. Was aber immer möglich ist: Offenheit!!! Ich freue mich darauf, auf andere Menschen und vielleicht auch auf neue Ausdrucksformen zu treffen, denn ich bin von Berufs wegen neugierig und will auch weiter dazu lernen. In jeder Kirche gibt es unterschiedliche Gemeindestrukturen. Ich finde es schön, wenn es bei uns in der Gemeinde lebendig bleibt und wach.
Wird es Ihnen ein bisschen mulmig, wenn Sie daran denken, dass Ihr Vorgänger an der Lutherkirche, Hans Mörtter, diese 35 Jahre lange geprägt hat?
Nein. Das ist für mich völlig problemlos. Hans Mörtter ist Hans Mörtter und Nicola Landgrebe ist Nicola Landgrebe. Ist doch prima, wenn wir uns durch unsere Arbeit gegenseitig inspirieren. Ich habe so viele Sachen in meinem Leben einfach gemacht, ohne darüber nachzudenken und war im Nachhinein froh über meinen Anfangsmut. Für mich ist es am besten, einfach loszulegen. Ich habe auch keine Berührungsangst mit Menschen, die anders sind oder die einen anderen Stil haben. Das ist vielleicht die Frucht einer doch etwas längeren Lebenserfahrung.
Es gibt viele gute Theaterstücke, in denen tiefe Wahrheiten vermittelt werden. Religion hat ja nun noch tiefere Wahrheiten. Gibt es da einen Unterschied und haben sie unterschiedliche Bezüge zum „modernen“ Leben?
Wenn es um die Gültigkeit der Bibel geht, sage ich eindeutig: „Ja!“ Ich bin ein großer Bertolt Brecht-Freund. Und für den ist die Bibel ein ganz wichtiges Buch und Quelle seiner Theaterkunst. In der „Dreigroschenoper“ z. B. gibt es ganz viele Bibelzitate. Insofern könnte man sagen, dass die „Wahrheiten“, die sich aus der Bibel herauslesen lassen in die Form der Kunst übersetzt werden können, so wie man in einer Predigt auch versucht, auf Bezüge zu unserem modernen Leben hinzuweisen. Ich glaube, dass die Bibel uns viel zu sagen hat und ein großes Buch ist, das uns viel abverlangt, aber lohnend und sinnstiftend für das eigene Leben sein kann. Ich würde keinen qualitativen Vergleich anstellen wollen zwischen Kunst und Bibel. Bei der Bibel ist einfach von vornherein klar: Da geht es um den Grund unseres Glaubens.
Das hört sich nicht nach einem gemütlichen Nickerchen während der Predigt an.
(Lacht) Nein. Ich fände es schön, wenn jemand Lust hat, sich auf einen Gedankengang einzulassen. Mehr kann ich ja auch nicht leisten: dass ich das Geschriebene interpretiere und dass der Heilige Geist mithilft, dass das, was man sagt, von anderen Menschen angenommen werden kann. Da wird man mit der Zeit recht bescheiden. Aber es ist eben doch die Aufgabe eines Predigers oder einer Predigerin, mittels der Verkündigung den Menschen die Bibel näher zu bringen.
Das heißt, ich kann jetzt nicht in den Gottesdienst kommen, ihn „absitzen“ und nach dem Segen ist meine Glaubensarbeit getan. Die fängt dann erst an.
Genau, es wäre schön, den Glauben auf das eigene Leben zu beziehen und das mit anderen Menschen zu teilen, die auch da sind; das muss ja nicht die Pfarrerin sein. Übrigens kenne ich eigentlich niemanden, der einen Gottesdienst nur „absitzen“ würde. So jemand würde vermutlich gar nicht erst kommen.
Haben Sie eigene Lieblingsthemen und Schwerpunkte, wie Umwelt, Kultur?
Ich könnte gar nicht sagen, dass ich etwas nicht gerne mache. Selbst die Verwaltungsarbeit muss ja getan werden. Mir ist aber die Seelsorge besonders wichtig, egal ob das Ältere oder Jüngere sind, aber ich bin nicht auf etwas oder eine Personengruppe spezialisiert. Ich bereite sehr gern Gottesdienste vor und halte sie gerne. Was die Kultur angeht, das ist ja viele Jahre meine Welt gewesen. Durch Kultur lernt man die Menschen kennen. Kultur verbindet und provoziert Offenheit. Ich freue mich übrigens sehr, dass ich weiter mit Kantor Thomas Frerichs zusammenarbeiten kann, der für uns alle ein Geschenk ist. Wenn einer auf diese Weise Musik macht, dann ist das für alle einfach schön. Und ich bin natürlich auch schon sehr gespannt auf den Kantor Andreas Mittmann von der Thomaskirche, mit dem ich bald zusammenarbeiten werde.
Und – die Thomaner haben eine KiTa, die Lutherkirche ja nicht.
Ja, das wird eine schöne Aufgabe, die ich von der Kartäuserkirche her kenne.
Angesichts der nur halben Stellen ist auf jeden Fall viel Einsatz gefragt.
Ja, denn es fallen die Kasualien, also Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen, von zwei Gemeinden an, und ich bin natürlich dabei auch auf andere Pfarrer:innen und Prädikant:innen angewiesen. Wir werden sehen: Da ist nichts in Stein gemeißelt und ich will auch keine allzu hohen Erwartungen wecken. Über weitere Gestaltungsräume werde ich auch nachdenken, aber zunächst muss es ein bisschen pragmatisch angegangen werden.
Es geht vornehmlich darum, die Kernaufgaben erledigt zu bekommen.
Es geht darum, dass die kirchliche Arbeit so weitergeht und dass die Menschen uns treu verbunden bleiben. Das kann nicht nur von der Pfarrperson abhängen. Die Ausstrahlung einer Kirchengemeinde hängt von allen Menschen ab, die dort sind; ob sie arbeiten, sich zum Gottesdienst zusammenfinden, Kunst machen oder zufällig vorbeikommen.
Das gilt in diesen Zeiten besonders. Man muss erst einmal das Mögliche hinbekommen, dabei aber die Selbsterhaltung im Auge behalten. Es besteht auch der allgemeine Trend, die Dinge auf möglichst viele Schultern zu verteilen.
Eine Erfahrung habe ich gemacht: Überall wird mit Wasser gekocht und ich koche auch mit Wasser. Nochmal: Wir sind eine Gemeinschaft und wir müssen aufeinander achten. Wir müssen allerdings auch solide wirtschaften, das gehört dazu. Wir müssen zwar kein durchperfektionierter Vorzeigebetrieb sein, aber eine Kirche, in die man gerne geht. Das wäre schon sehr viel, wenn das gelänge.
Ironisch gefragt: Kirche soll Spaß machen? Ist das denn protestantisch?
Die Zeiten, auf die Sie anspielen, sind lange vorbei. Wer heute kommt, tut das, weil ihm/ihr etwas an der Kirche liegt. Von meiner Seite aus werde ich alles tun, damit das hoffnungsvoll anfängt.
Als Redakteurin und Webmasterin der Lutherkirche wünsche ich Ihnen und uns allen fruchtbares Zusammenarbeiten, dass alle ihren Platz kennen oder finden und alles ineinandergreifen wird und wir der Gemeinschaftsverantwortung gerecht werden mögen. Sie haben häufiger das Wort „lebendig“ benutzt und das hört sich nach einem guten Weg an.
Das Gespräch fand am 28. Dezember 2022 statt, wurde von Helga Fitzner geführt und redigiert und für die Schriftform von Nicola Landgrebe noch ergänzt