Heilig Abend

Laut und besinnlich zugleich

Heilig Abend mit Pfarrer Hans Mörtter, Kantor Thomas Frerichs, Christmas-Band, Foto: Jens Wagner-Brause

„Auch wenn immer viele Kinder Heilig Abend zu uns kommen, möchte ich betonen, dass es ein Gottesdienst für alle ist. Ich ziele im Grunde sehr stark auf die Erwachsenen ab. Die Kinder verstehen das so oder so. Die finden das gut. Aber ich möchte, dass auch die Erwachsenen etwas begreifen. Dass sie irgendwie mal anhalten und sich getrauen, etwas zu spüren. Ein halbes Jahr nach einem Weihnachtsgottesdienst traf ich mal einen Mann, der daran teilgenommen hatte und sagte: ‚Ich musste da so heulen, das ging mir so nah.’ Das heißt, es rührt etwas in uns an. Denn Heilig Abend ist ein ganz besonderer Tag im Jahr. Ein kurzer kostbarer Augenblick, in dem urmenschliche Sehnsucht Raum gewinnt. Da gab es auch mal einen typischen Südstädter, der seit Ewigkeiten nicht mehr in die Kirche gegangen ist. Weil mit ihm befreundete Musiker:innen in unserem Gottesdienst spielten, hat er dann doch mal hereingeschaut. Danach sagte er mir: ‚Mensch, was habe ich alles schon verpasst, dass ich erst jetzt komme. Aber kein Problem, ich komme jetzt immer.’ – Das zeigt mir, dass der Gottesdienst Menschen anspricht und bewegt – sie zu sich selbst kommen lässt, ihren Fragen und geahnten Antworten.

Dabei geht es schwerpunktmäßig um Kultur: Wer sind wir? Was für Traditionen haben wir? Haben wir überhaupt noch welche? Gilt die? Wie ist sie im Wandel? Und was bleibt? Was ist beliebig? Haben wir eine Identität? Wovon ist sie geprägt und wer sind wir da drin? Diese Fragen sollten uns bewusst sein, um so auch gegenüber anderen und auch dem Islam in den Dialog gehen zu können. Wir können keinen Dialog aufnehmen, wenn wir nicht wissen, wer wir sind. Also müssen wir uns unserer Kultur neu bewusst werden. Um dieses Thema kreise ich in den Gottesdiensten.
Es ist eine Zeit der Besinnung, aber an der Lutherkirche geht es auch deftig zu, wir bollern auch. Wir haben eine Christmas-Band, da geht die Post ab. Vor einigen Jahren habe ich ein improvisiertes Gebet mit denen zusammen gemacht, in diesem Rhythmus. So eine Art Gospel-Gebet. Das empfand ich als ziemlich abenteuerlich. In dem Gottesdienst gibt es eine Mischung aus „volle Kanne Energie“, session-ähnlich, und dann wieder die absolute Stille, Ruhe und Konzentration. Auf diese Balance kommt es an. Die ganz eigene besondere Spiritualität dieser einen Stunde. Danach laufen dann die jeweils eigenen Geschichten – aber jede:r nimmt für seine eigene Identität im Kontext unserer Gesellschaft und Welt und dem Mehr darüber hinaus geheimnisvoll etwas mit. Wenn ich spüre, dass das in diesem Gottesdienst rübergekommen ist, bin ich unglaublich glücklich und vor allem dankbar.“
Pfarrer i. R. Hans Mörtter

Informatives zur Geschichte des Weihnachtsfestkreises

Mit dem Weihnachtsfestkreis wird das Kirchenjahr eröffnet. Er beschreibt die Zeit vom 1. Advent bis Weihnachten, über das Fest der Heiligen Drei Könige (Epiphanias) bis zum Anfang des Osterkreises im Frühjahr. An Weihnachten feiern wir die Geburt Christi, die Menschwerdung Gottes. Der wichtigste Festtag war ursprünglich der 25. Dezember und wurde erstmals im Jahr 336 in Rom gefeiert. Warum sich die Kirche auf diesen Tag festgelegt hat, ist nicht bekannt. Es kursieren verschiedene Theorien. Der wahre Geburtstag von Jesus ist nicht sicher bekannt.

Die Synode von Mainz legte 813 die Dauer des Weihnachtsfests auf insgesamt vier Tage fest. Neben den insgesamt drei festgeschriebenen Messen wurden auch sogenannte Begleitfeste zelebriert, in denen verschiedener Märtyrer gedacht wurde. Seit der Reformation beginnt Weihnachten am Abend des 24. Dezembers. Die Liturgie wurde vereinfacht, die Begleitfeste abgeschafft und die Feiertage auf zwei reduziert. Die evangelische Kirche entwickelte gezielt vielfältige Arten weihnachtlicher Musik. Gesang und Musik wurden bewusster als vorher als Mittel des gemeinschaftlichen Ausdrucks des Glaubens eingesetzt. Luther hatte sie als ein wichtiges Instrument vorgegeben. Man löste sich auch von der Vorstellung, dass ein Heiliger, Sankt Nikolaus, am 6. Dezember als Gabenbringer fungieren sollte, wie es bis dahin üblich war. Das Christkind selbst sollte das Geschenk für die Menschheit sein und deshalb für die Gaben zu Weihnachten zuständig. Und darum kommt in Deutschland das Christkind heute noch am 24. Dezember.

Text: Helga Fitzner