Tangogottesdienst 24.06.2018

die würde der obdachlosen

Ausschnitt aus der Predigt von Hans Mörtter

Die Stadt hat die Verpflichtung, Menschen unterzubringen, die wohnungslos sind. Aber was heißt das? Wer Glück hat, kommt ins Johanneshaus hier in der Annostraße. Das geht noch, das ist für die, die langfristig da wohnen. Und dann gibt es die, die für drei Tage irgendwo untergebracht werden, bis der Stadt was anderes einfällt, wohin sie dann zugewiesen werden. Das nennt man dann Notunterkunft. Da sind Leute, die sich nicht kennen, zu viert in einem Zimmer. Da wollen viele nicht rein. Das sind in Köln circa 4000 Menschen, die das nicht machen. Weil es die Würde erstickt, weil es menschenverachtend ist. Weil es in dieser Stadt keinen Platz gibt für Menschen, die keine Wohnung haben. Keinen Platz, der einem Menschen gerecht wird, der in Not geraten ist, warum auch immer. Und in diese Not kann jeder geraten. Fast alle Berufe, die es in diesem Land gibt, sind unter Wohnungslosen vertreten. Vor Wohnungslosigkeit ist niemand sicher. Es braucht nur irgendwas schief zu gehen im Leben, irgendein Knacks zu kommen und zack, verlieren sie den Beruf, die Anstellung. Sie sind außer Kraft gesetzt, können die Miete nicht mehr zahlen, werden gekündigt und dann: Notunterkunft oder die Straße. Es ist eine gewaltige Herausforderung, damit umzugehen. In Köln gibt es 500.000 Menschen, die ein Anrecht auf sozialen Wohnraum haben, d. h. auf geförderte Wohnungen. – Das ist die Hälfte der Bevölkerung von Köln. – Die Stadt Köln gibt als maximales Ziel an, dass künftige Neubauten zu 30 % für den sozialen Wohnungsbau gedacht sind. Aber was ist mit den andern 20 %, für die es keinen Wohnraum geben wird, wo sollen die hin? Am Stadtrand ist es genau so teuer. Werden demnächst Raketen ins Weltall geschossen für Menschen, die die Mieten nicht zahlen können und für die es keinen Wohnraum gibt und wo auch nicht daran gedacht wird, genügend Wohnungen für sie zu bauen? Wir sind da gefragt, weil sie Menschen unseres Landes sind und unserer Stadt sind.

Der Tango Argentino entstand unter den Ärmsten am Rio de la Plata in Argentinien, in Kaschemmen und Bordellen. Die Menschen hatten nichts und ihre Würde wurde ihnen täglich genommen. Dann fingen sie an zu tanzen, eine völlig neue Musik entwickelte sich voller Sehnsucht, Kraft, Fantasie und Erotik. Und sie gewöhnten sich an, obwohl sie nichts hatten, die richtigen Schuhe zu tragen, sie glänzten, die Männer im Anzug, die Frauen in Kleidern, und plötzlich wurden die Milongas zu Festen von Königen und Königinnen. Und im Tango holten sich die Ärmsten der Armen, das zurück, was sie waren: Menschen, kostbar, wertvoll, einzigartig, Gottes Ebenbilder. Es entwickelte sich weiter und weiter. Wir haben das Grundgefühl vielleicht ein bisschen verloren, aber der Tango Argentino bietet die Chance, es neu zu entdecken, welche Flüsse sich in uns bewegen, wie wir geleitet und geführt werden. Wie wir einander spüren können und uns dann weiterbewegen, ohne zu wissen, was kommt. Ohne Plan und doch zielsicher, Schritt für Schritt, dass wir anfangen zu schauen, wie leben Menschen, wie leben wir, wie sind wir miteinander verbunden.
Text: Hans Mörtter

Mit dem Tangopaar Ezequiel Quiroga und Lena Rütter vom Don Tango Club in Köln
dem Tango-Orchester bestehend aus Bettina Scheibler, Geige und Bratsche, Eli Thoböll am Akkordeon, Burkhard Müller, Saxophon, unter der Leitung von Thomas Frerichs am Klavier.