Buchprojekt der Kriegsgeneration
Kriegserinnerungen
Zukunft braucht Herkunft“. Diese Erkenntnis des 1928 in Pommern geborenen Philosophen Odo Marquard steht als indirekte Überschrift über dem Buchprojekt der Lutherkirche der Kölner Südstadt: „Angerichtet – Vom Überleben und Kochen in schlimmer Zeit“, das von mir, der Journalistin Helga Fitzner, redaktionell betreut wurde. 19 Frauen und vier Männer erzählen darin von ihren Erlebnissen zwischen 1933 und 1948. Einige waren zu dieser Zeit junge Erwachsene, die meisten noch Kinder oder Jugendliche. Sie sind unterschiedlicher Herkunft, stammen aus dem Rheinland, Berlin-Brandenburg, Sachsen, Danzig, Schlesien und dem Sudetenland. Gemeinsam ist ihnen, dass sie alle den Zweiten Weltkrieg und die Hungerjahre nach dem Krieg überlebt haben und es sie irgendwann nach Köln an die Lutherkirche verschlagen hat.
Dort sammelte ich ihre Geschichten und es kam eine stattliche Anzahl von Themen zustande. Gisela hat die Verwüstungen nach der Reichskristallnacht gesehen, Ludmilla bekam den Kriegsbeginn in Danzig fast unmittelbar mit, als die Westerplatte unter Beschuss stand. Heinz und Adolf haben den Krieg als junge Soldaten in Italien bzw. Frankreich erlebt, Günther und Walter sind noch zur Schule gegangen. Als Johanna am Tag nach der Bombardierung in die Dresdener Innenstadt ging, existierte diese nicht mehr. Sie entschloss sich, wie viele, zur Flucht.
Diejenigen aus den Ostgebieten, die nicht fliehen, müssen ihre Heimat zwangsweise verlassen: „Vertrieben, hieß das“, hat Brigitte als Kind gelernt. Die Nachkriegsgeschichten handeln vom Hungern, Frieren, Hamstern, „Fringsen“, Spruchkammern, Schwarzmarkt und Wiederaufbau.
Viele der ersten Versionen dieser Erzählungen waren politisch korrekte, oder besser gesagt, politisch korrigierte Nachkriegsversionen. Da es aber darum ging, Nachgeborenen zu vermitteln, was sich in diesen Jahren wirklich abgespielt hat, legten Pfarrer Hans Mörtter und ich Wert darauf, dass die Geschichten aus dem damaligen subjektiven Erleben heraus erzählt wurden. Das hatte zur Folge, dass einige nicht zur Veröffentlichung freigegeben wurden. In diesen Erinnerungen wurden Fragen der Kriegsschuld und des Völkermordes an den Juden oft ausgeblendet, was angesichts des jugendlichen Alters der Befragten nicht ungewöhnlich ist. Pfarrer Hans Mörtter hat sich deshalb in einem ausführlichen Nachwort meinen Fragen gestellt und insbesondere einen theologischen Blick auf die Themen Schuld und Gnade geworfen. Er ging auch auf die Bedeutung ein, die die Kriegsvergangenheit der Eltern- und Großelterngeneration auf uns heute hat und wie wir heute damit umgehen könnten.
„Angerichtet“ zeigt die Bedrohlichkeit dieser Zeit, den Aberwitz des Krieges, aber auch die Stärke der Menschen, ihre Kraft zum Überleben in aussichtslos erscheinenden Situationen. Trotz zunehmender Vereinnahmung der Menschen, ihrer Person, ihres Denkens und Fühlens durch die Gewaltherrschaft, lugt da immer wieder ein unbestimmbares Etwas hindurch, das sich dem entzieht. Es liegt etwas Unzerstörbares in dem Handeln der Autoren und Autorinnen, wenn sie mit Courage und Phantasie um einen Rest von Menschenwürde und Selbstbestimmung ringen. Insbesondere die Frauen setzen mit der Nahrungsbeschaffung und der Zubereitung von Speisen der Zerstörung des Krieges immer wieder das Lebenserhaltende des Essens entgegen. Zum Schluss wird dann noch die Liebesgeschichte von Heinz und Hanna erzählt, die sich in den Kriegswirren kennen lernten und fast 70 Jahre lang glücklich verheiratet waren.
Es war ein großes Privileg für mich, mit diesen starken und wundervollen Menschen, die in dem Buch zu Wort kommen, arbeiten zu dürfen.
Text: Helga Fitzner, Redakteurin
Foto auf dem Buchcover: Privatsammlung Lieselotte Hinz
Aus den privaten fotoalben unserer autoren und Autorinnen (privateigentum)
„Angerichtet ! Vom Überleben und Kochen in schlimmer Zeit“
Erzählt von Frauen und Männern der Senior:innengruppen
der Lutherkirche in der Kölner Südstadt
ISBN 978-3-00-029644-4
Redaktion
Helga Fitzner
Vor- und Nachwort
Pfarrer Hans Mörtter
Vertrieb
Südstadt-Leben e.V.
Fon: 0221-3762990
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