Abschiedsfeier Hermann Vogel
Am 31. Mai 2017 feierte unser Kurator Hermann vogel seine letzte Vernissage
Hermann Vogel war der Lutherkirche jahrzehntelang verbunden, als Presbyter, als Kurator und als Mensch. Pfarrer Hans Mörtter erinnert sich – teils wehmütig – an die Zeit mit ihm.
"ein starkes Bündnis miteinander" - Hans Mörtter
Vom ersten Augenblick an stimmte die Chemie zwischen uns. Wir spürten die Weite miteinander, ohne zu ahnen, dass daraus gemeinsam Unglaubliches entstehen würde. Hermann Vogels Gastfreundschaft, sein neugieriges, offenes, herzliches Willkommen in seiner Wohnung für den jungen Revoluzzer-Pfarrer ist mir unvergessen. Durch ihn und unsere damalige Küsterin Hilde Dieners im engen Bündnis fühlte ich mich sofort an der Lutherkirche zuhause. Ohne die starke Nachhaltigkeit von Hermann Vogel gegen den Widerstand der damals elf Pfarrer der Gemeinde, wäre ich 1987 nicht Pfarrer der Lutherkirche geworden.
Mindestens 30 Jahre war Hermann Vogel mit großer Geduld und Nachhaltigkeit Presbyter der Lutherkirche in der Evangelischen Gemeinde Köln und hat dabei beeindruckende Zeichen gesetzt. In den 80-er Jahren gründete er den hochwertigen Luther-Basar mit Schwerpunkt Lateinamerika. 1989 nach dem Fall der Mauer kuratierte er die erste provokante Kunstausstellung. 1991 räumten wir auf seine Initiative den gesamten zugemüllten Luther-Turm aus bis auf den Estrich, um auf fünf Ebenen Raum zu schaffen für „kunst im turm“. Er wurde zum Kurator der Lutherkirche, womit Kunst zu einem Markenzeichen der Lutherkirche wurde, allererste Kunst-Liga in der Stadt. Die Devise war, Künstler:innen gestaltenden Freiraum zu geben im Dialog mit dem Raum. Sein Anspruch dabei war sehr hoch, aber immer verbunden mit unendlicher künstlerischer Weite. Feinsinnig bis ins Unendliche fühlte er sich dabei immer verantwortlich bis ins kleinste Detail.
Wo müssen die Nägel hin? Er schleppte Kirchenbänke rein und raus, kletterte abenteuerlich auf Leitern. Es musste immer alles bis ins kleinste Detail stimmen, egal wie lange er dafür bis tief in die Nacht dafür arbeitete mit all seiner Hingabe.
Wenn es im Detail nicht stimmt, stimmt es insgesamt nicht – und damit hat er Recht und auch mich geprägt.
Achtsamkeit und Würdigkeit setzte er der Beliebigkeit und Billigkeit unserer Zeit entgegen. Das hohe Niveau der Kunstausstellungen im Lutherturm ist sein Verdienst: Künstlerischer Freiraum und Sperrigkeit statt gefälliger Kunstmarkt.
„Kriegen wir das finanziert?“, fragte er mich oft. Und ich sagte immer, wir machen das, obwohl wir null Geld hatten. Seine Ideen stimmten immer und das Spendengeld kam fast von alleine, was auch unglaublich ist.
Uns verbindet tief das Vertrauen in das, was gut und nötig ist. Und das funktioniert.
In den 90er Jahren erkannte Hermann Vogel meine Überlastung und übernahm die Gestaltung des „dramaturgischen Karfreitags-Gottesdienstes“ inklusive der von ihm
gegründeten passio-Reihe und den Nachtstillen auch in der Adventszeit.
In enger Zusammenarbeit mit fantastischen Künstler:innen und Musiker:innen.
Daraus ist ein Markenzeichen in der Stadt geworden mit beeindruckender nachhaltiger Wirksamkeit, was es so in Deutschland kaum ein zweites Mal gibt.
Unvergessen für mich ist die Diskussion um das 12 x 6 m große Altarbild von Christos Koutsouras von 1994. Eine große Herausforderung mit starker Kraft. Auseinandersetzung mit Tod, Zerstörung, Krieg und der unzerstörbaren Kraft des Lebens. Damals gab es Gemeindeglieder, denen die Arbeit Angst machte. Darauf ein Beschluss des damaligen Presbyteriums, das Bild von Zeit zu Zeit abzuhängen.
Hermann Vogel und ich haben uns angesehen. Wir wussten, dass jemand den Beschluss ausführen müsste. Aber wir würden das nicht tun – und sonst tat es auch niemand. Es blieb also bis heute hängen und inzwischen ist es nicht mehr einfach
abhängbar. Der Kommentar von Hermann Vogel damals lautete: „Kunst kann nicht demokratisch sein.“ Ich habe freudig genickt, weil Kunst immer Herausforderung ist und darin frei. Ob es uns passt oder nicht.
Und das gehört dank Hermann Vogel zu den Markenzeichen der Lutherkirche. Ich verdanke ihm unendlich viel. Dabei kommen mir die Tränen. In meinem Ringen und meinem Kampf um eine moderne, menschennahe, widerspenstige Kirche war er mir immer ein Rückgrat-Verstärker, auch in seinen feinsinnigen kritischen Hinterfragungen. Von traditioneller Kirche haben wir beide uns im Lauf unseres Miteinanders und in der Zusammenarbeit mit fantastischen Künstler:innen weit entfernt. Seite an Seite in Klar- und Weitsicht – und wieder bekomme ich feuchte Augen. Hermann Vogel wird mir sehr fehlen. Ich bin froh, dass er weiter die passio und den Karfreitag machen wird, die Plakate und den besonderen Schaukasten. Unsere Verbindung und tiefe Nähe wird bestehen bleiben, worüber ich glücklich und tief dankbar bin. Hermann Vogel ist und bleibt mein Rückgrat. Wir waren uns miteinander immer auch ohne besondere Worte sicher und nah. Das wird bleiben, weil Menschen nicht austauschbar sind. Solange wir leben und dann als Seelen vielleicht wieder ganz neu miteinander. Was echt ist, bleibt und entwickelt sich weiter jenseits unseres fassbaren Denkens.
Einen dicken Kopf haben wir uns miteinander gemacht, wer seine künstlerische Kuratoren-Arbeit an der Lutherkirche auf diesem hohen Niveau weiterführen könnte.
Die Entscheidung war für uns beide dann ganz einfach: Rochus Aust, der schon seit
fünfzehn Jahren bei uns gestaltend mitwirkt und auf hohem Niveau seine eigenen Zeichensetzungen machen wird.
Meine Dankensworte an Hermann Vogel:
Lieber Herr Vogel,
unsere lange Geschichte miteinander
ist ein besonderes Geschenk
Die tiefgehenden Frei-Räume
Die intensiven Gespräche
Unser Verstehen miteinander ohne Worte
Vom allerersten Augenblick an Nähe
Sie waren und sind für mich Kraft
in meinem Rückgrat, um in dieser Kirche standhalten zu können.
Weite statt Enge
Freiheit und Mut statt kleinmütiger Angst
Lutherkirche mit ihrem Gütesiegel,
das sind Sie für mich und werden es immer bleiben.
Uns so mache ich weiter mit Ihnen im Rückgrat und im Herzen.
DANKE
Pfarrer Hans Mörtter
Fotos: Sonja Grupe
in memoriam Hermann Vogel (1934 - 2022)
Erinnerungen an einen aussergewöhnlichen Menschen
Mit großem Bedauern verkünden wir die Nachricht, dass unser ehemaliger Kurator Hermann Vogel am 15. November 2022 im Alter von 88 Jahren gestorben ist. Er war der Lutherkirche über viele Jahrzehnte verbunden, zuerst als Presbyter, dann auch als Organisator von Kunstveranstaltungen im Turm der Lutherkirche. Da er sich immer gerne im Hintergrund hielt, wissen vermutlich nur wenige, dass er die Geschicke der Lutherkirche entscheidend mitgeprägt hat. Als sich im Herbst 1986 ein Jungpfarrer namens Hans Mörtter mit seinen neumodischen Ideen um die Pfarrstelle bewarb, lehnte das Gesamtpresbyterium seine Wahl ab. Doch das nahm Hermann Vogel nicht hin, organisierte den Aufstand der Lutherkirchen- Presbyter:innen mit Verstärkung der damaligen Küsterin Hilde Dieners und setzte die Wahl von Hans Mörtter durch.
Hilde Dieners war von 1976 bis 1996 Küsterin und Hermann Vogel war schon Presbyter, als sie dort anfing. Sie war oft mit ihm zum Wohle der Lutherkirche im Einsatz. In all den Jahren habe sie ihn nie zornig oder ärgerlich erlebt: „Er war immer zur Stelle. Ihm war nie etwas zu viel“, erinnert sie sich. Auf Konflikte ließ er sich nie ein, konnte sich aber auf seine sanfte Art und mit Beharrlichkeit sehr wohl durchsetzen. Frau Dieners schätzte auch seinen Einsatz als Familienvater, denn seinen jüngsten von drei Söhnen hat er öfter mitgebracht, als dieser noch klein war. Er hatte ihr auch immer das Gefühl gegeben, dass sie gut war, so wie sie ist. Und sie drückt das aus, was auf viele aus seinem Arbeitsumfeld zutreffen dürfte: „Mir ist, als hätte man ein Stück von mir selbst weggerissen“.
Die Fähigkeit, andere so anzunehmen und zu respektieren, wie sie sind, war eine bemerkenswerte Eigenschaft von ihm, denn in seiner Gegenwart fühlte man sich wohl und gut aufgehoben. Ich selbst, Helga Fitzner, habe ihn als Redakteurin der Lutherkirche im Jahr 2004 kennen- und schätzen gelernt. Seit 2006 bin ich für die Webseite der Lutherkirche verantwortlich und damit auch für die Ankündigungen der Veranstaltungen von „kunst im turm“ (so seine Schreibweise). Er war Grafiker und sehr akribisch. Seine Plakate mussten bis aufs i-Tüpfelchen stimmen, auch wenn alles noch mal neu bearbeitet werden musste. Dieser Perfektionismus traf auf alles zu, was er in die Hand nahm.
Als es hieß, dass ich den Nachruf zusammenstellen soll, wurde mir klar, dass ich viele Lebensdaten und Informationen über seinen Lebensweg gar nicht kenne. Er hat auch mit vertrauteren Leuten nicht gern über sich selbst gesprochen, und eigentlich ist das auch unwichtig, weil es ihm nicht wichtig war. Wir hatten eine Phase der intensiveren Zusammenarbeit, als ich mit vier Senioren und 19 Seniorinnen ein Buch über deren Kriegs- und Nachkriegsgeschichten geschrieben hatte, für dessen Layout er zuständig war. Er wäre wohl nie auf die Idee gekommen, von seinen eigenen Erlebnissen während dieser Zeit zu erzählen, aber einmal blitzte da doch etwas auf. Der Titel lautet „angerichtet!“ mit dem ursprünglichen Untertitel „Vom Überleben in schlechter Zeit“, von der die Senior:innen immer erzählt hatten. „Die Zeit war nicht schlecht“, brach es aus ihm heraus, „die war schlimm. Die war einfach nur schlimm“. Ich habe lange bedauert, von diesen Geschehnissen nicht aus seiner Sicht zu erfahren. Aber gerade halte ich das Buch in der Hand und mir stehen die Tränen in den Augen. Hermann Vogel hat das Layout für das Buch so liebevoll und sorgfältig gestaltet, dass das eine Geschichte für sich ist. Seine Geschichte. Er hat dem Mut der Autor:innen, die sich durch Resilienz und Selbstbestimmungswillen auszeichneten, dadurch eine Kostbarkeit und Würdigung gezollt, die für sich spricht und seine Art ist, sich ohne Worte auszudrücken. Das wiederum lässt Rückschlüsse auf seine großzügige Geisteshaltung, Empathiefähigkeit und Menschenliebe zu.
Prägend für das äußere Bild der Lutherkirche waren nicht nur Hermann Vogels wunderbare Plakate für den Schaukasten, sondern vor allem seine Ausstellungen „kunst im turm“. Mal hingen Kleidungsstücke vom Turm bei der „Turminstallation“ von Kathrin Rabenort (2007), im Jahr 2011 schlossen sich mehrere Künstler:innen zum Thema „Fukushima“ zusammen, und 2013 gab es das Gemeinschaftsprojekt von Kathrin Schlechter und Klaus Findl „was ich in etwa zu dir sprach“. Die beiden letzten Ausstellungen (2016) von ihm behandelten das Thema Krieg und Gewalt. „Hello Camel“ war eine Fotoausstellung des Kriegsfotografen Christoph Bangert und „God is dead IS LAM“ von Michael Hooymann zeigte Bilder mit unvorstellbaren Grausamkeiten und wollte bewusst aufrütteln. Auf meine Anmerkung, dass die schwer zu ertragen seien, meinte Hermann Vogel: „Und das sind nur kleine Momentaufnahmen dessen, was geschieht“. Seine letzte Ausstellung war „Heimat Variationen“ (2017), die er zusammen mit Rochus Aust kuratierte, der ihm als Kurator nachfolgte. Für Rochus Aust war und ist Hermann Vogel nicht fort: „Jedes Mal, wenn ich in den Turm gehe, ist Herr Vogel schon da. Sein Dasein für die Kunst und die Künstler:innen ist von einer unaufgeregten Präsenz, seine Haltung von einer unbestechlichen Menschlichkeit. Jedes Mal, wenn ich nicht weiter komme, frage ich mich, wie hätte da wohl Herr Vogel entschieden. Und jedes Mal, wenn ich aus dem Turm herausgehe, weiß ich, dass Herr Vogel noch dort ist.“
In einem Interview mit Thomas Dahl anlässlich seiner Verabschiedung 2017 sagte der scheidende Kurator: „Mein Credo war immer, die Heranführung der Gemeinde an ein offenes Feld der Kunst. Ich hatte die Vorstellung, den Menschen über die Kunst eine Nähe zur Gemeinschaftlichkeit zurückzuholen, die verloren schien. Wissen Sie, ein Glaubensbekenntnis zu sprechen, kann irgendwann auch zur Routine verkommen. Ich wollte mit den verschiedenen Formen der Kunst neue gesellschaftliche Sichtweisen erreichen. Das war und ist jedoch sehr schwer, vor allem für jemanden wie mich, der nicht allzu viel reden möchte“.
Unsere langjährige Presbyterin Gaby Feigl hat Hermann Vogel auf ihre Art erlebt: „Als ich 1987 die Lutherkirche als ‚meine Kirche‘ entdeckte, gab es Herrn Vogel dort schon lange als feste Größe. Von Anfang an war da eine Verbundenheit, die ich gar nicht in Worte kleiden kann. Es herrschte oft eine stillschweigende Übereinkunft zwischen uns. Sein einzigartiges ästhetisches Empfinden war immer prägend für die Lutherkirche. So kann ich mich z. B. an Weihnachtsbasare im Gemeindesaal, der Kirche und Turmräumen erinnern, wo er viel Zeit und Kraft in die ästhetische und inhaltliche Gestaltung hineingesteckt hat. – Was er nicht wollte, das wollte er nicht!
Er hat sich mit großer Geduld und Gottesfurcht stets durch Qualität und Feingeistigkeit in seinem künstlerischen Tun ausgezeichnet. Seine Briefe waren kleine Juwelen, in denen jedes Wort seinen richtigen Platz hatte. Manche Menschen fanden sicher auch nicht den rechten Zugang zu seinem stillen, besonderen Wesen. Er wird für mich aber immer der großherzigste Mensch an der Lutherkirche bleiben“.
Text: Helga Fitzner, Hilde Dieners, Rochus Aust und Gaby Feigl