Willkommens-gottesdienst
Für Nicola Landgrebe
Es war ein feierlicher Gottesdienst mit einer einfühlsamen Predigt und Abendmahl. Zwar hat Nicola Landgrebe schon einige Gottesdienste an der Lutherkirche gestaltet, aber dieses war der erste seit ihrer Ernennung zur unserer Pfarrerin. Zum Schluss bekam sie als Willkommensgruß ein Exemplar des 2009 geschriebenen Buches „Angerichtet“ unserer Senior:innenkreise, aus dem ein familientauglicher Ausschnitt vorgetragen wurde.
Ein besonderer Höhepunkt kam danach. Unsere Prädikantin und Presbyterin Alida Pisu hat mit ihrem Team „Tafelfreuden“ kreiert, ein wunderbares warmes Mittagsessen, „Curry-Reis mit Ratouille einmal quer durch den Garten“. Bei Tisch konnten die neue Pfarrerin und die Gemeinde sich in entspannter Atmosphäre etwas kennenlernen.
Text und Fotos: Helga Fitzner
Oberes Foto: Stefan Schmiedel
Friede sei mit euch von dem, der da war und der da ist und der da kommt!
Predigt Mt 9,9-13
9
Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen,
der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und
folgte ihm. 10 Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe,
da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und
seinen Jüngern. 11 Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen
Jüngern: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern? 12 Als
das Jesus hörte, sprach er: Nicht die Starken bedürfen des Arztes,
sondern die Kranken. 13 Seht aber hin und lernt, was das heißt:
»Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer. Ich bin nicht gekommen,
Gerechte zu rufen, sondern Sünder.«
Liebe Gemeinde!
Am
Anfang schuf Gott Himmel und Erde und die Erde war wüst und leer… So
beginnt der erste Schöpfungstag, und dann spricht Gott. Es werde Licht!
Und dann: Und Gott sah, dass das Licht gut war.
Und ich stelle
mir genau das vor; ich sehe das Tohuwabohu, das Chaos und mit dem ersten
Wort Gottes kommt Licht und im weiteren Ordnung in die Welt. Sie nimmt
Gestalt an, Kultur entsteht, in dem Gott Licht in die Dunkelheit bringt.
Vor unseren Augen entsteht die Welt, die wir kennen. Der Chaosvorhang
lüftet sich. Die Welt, die Gott schafft, wird sichtbar und auch im
ersten Augenblick von ihm angesehen.
Das Sehen, das Erkennen, das Anerkennen spielt also von Anfang an eine ganz große Rolle.
Und auch hier im Text fängt alles mit dem Sehen an.
Jesus
geht am dem Zöllner Matthäus vorüber. (Es könnte sich übrigens um den
späteren Apostel Matthäus handeln.). Dessen Zollstation könnte wohl in
der Nähe des Sees Genezareth gelegen sein. Vermutlich hat er die
Zolleinnahmen des damaligen Fischhandels abgewickelt.
Ihr wisst
/Sie wissen vielleicht, dass Zöllner damals einen denkbar schlechten Ruf
gehabt haben, weil sie üblicherweise von den Zolleinnahmen persönlich
profitiert haben. Korrupte Leute, im Auftrag der römischen
Besatzungsmacht, professionelle Betrüger also. Eine Art Mafia.
An
so einem Mann, dem Matthäus, geht Jesus vorüber. Er sieht ihn, sieht
ihn an. Er sieht den, den die anderen nicht so gerne sehen, die im
Gegenteil aus moralischen Gründen auf ihn herabsehen…
Jesus sagt
nicht mehr oder weniger als: Folge mir! Und der Zöllner Matthäus tut
nicht mehr oder weniger als, dass er genau das tut, er gehorcht.
Kleine Ursache, große Wirkung?
Man
kann sich eigentlich ganz gut vorstellen, dass jemand sagt: Tu doch das
und jenes, richte dich hier jetzt mal nach mir, komm in meine
Community, sei mein Follower!
Die Werbewelt ist doch voller solcher Aufrufe.
Aber dass einer sofort von jetzt auf gleich alles liegen und stehen
lässt, ist bestimmt keine kleine Sache. Das begreift man Instinktiv.
Sein Leben jetzt, in dieser Sekunde komplett ändern?
Hier aber
ruft weder eine Werbeagentur noch ein Thinktank für ein optimiertes
Leben, sondern es ruft Jesus persönlich. Und sein Blick trifft auf den
einen Mann Matthäus, auf Matthäus persönlich. Eine Sache zwischen ihm
und ihm.
Man könnte noch weiter fragen:
Wie kommt Jesus
eigentlich dazu, gerade diesen einen Zöllner ins Visier zu nehmen? Und
wie kommt dieser Mann dazu, Jesus zu gehorchen?
Darauf bekommen wir keine Antwort.
In diesen paar Versen steht nur, dass es sich genauso verhält: Ruf Jesu, Nachfolge ausgelöst! Gesagt, getan.
Diese Erzählung hat nicht nur etwas mit Sehen und gesehen werden zu tun, sondern mit viel mehr: Um Ansehen!
Jesus
blickt hinter die Fassade des korrupten Beamten und sieht damit den
Menschen, den Gott geschaffen hat und in dem alle Möglichkeiten angelegt
sind, ein gutes, – früher hätte man gesagt – Gott wohlgefälliges Leben
zu führen. Jesus behandelt den Zöllner Matthäus als einen von Gott
angesehenen Menschen.
Jesus sieht ihn an als der, der er im Grunde ist – und er, der Angesehene, ändert sein Leben.
Es kommt mir fast so vor: als hätte er gar keine Wahl.
Jetzt kreist dieser Mensch nicht mehr um sich selbst, sondern folgt Jesus. Er schlägt eine völlig andere Richtung ein.
In
welchem Ansehen stehen eigentlich Du, Sie oder ich? In Bezug auf die
Menschen, mit denen wir leben. In Bezug auf unsere Lebensmenschen,
unsere Familie, Freunde, Nachbarn, die Arbeitswelt mit den Kolleginnen
und Kollegen? Frau Schmitt von gegenüber, Herr Dorolek vom Supermarkt,
die Frau, die mir im Forstbotanischen Garten immer begegnet, wenn sie
ihren Pudel ausführt.
In welchem Ansehen stehen wir vor Ihnen
da? Was halten sie von uns? Die Menschen, die uns brauchen, vielleicht
angewiesen sind oder umgekehrt, von denen wir abhängen und angewiesen
sind.
Das Sehen geht also weiter als von Kopf bis zu den Füßen und zurück.
Was Menschen einander wert sind, ist im Wortsinn Ansichtssache.
Jesus
und seine Jüngerschaft begeben sich in schlechte Gesellschaft. Es ist
anrüchig, hat ein Gschmäckle (wie man in Schwaben sagen würde). Sie
sitzen mit der Geldmafia an einem Tisch und lassen es sich gut gehen.
Sie
essen miteinander. Mit wem könnten Sie sich vorstellen, am Tisch zu
sitzen und es wäre ihnen recht unangenehm, von außen dabei gesehen zu
werden?
Ich finde es gar nicht so leicht, das sagen zu können.
Vielleicht sind wir alle zu sehr daran gewöhnt, dass es
gesellschaftliche Tabus in dieser Form gar nicht mehr so gibt.
Vielleicht ist das in der Politik noch anders. Da wird oft noch mit
Argusaugen genau beobachtet, wer mit wem zu tun hat. Ein Treffen
zwischen einem Linksaußen mit einem Rechtsaußen in einem Berliner
Restaurant könnte einen scharfen Zeitungsartikel auslösen.
Aber
ein gemeinsames, privates Essen als Grenzüberschreitung zu sehen, ist
also nicht mehr – Gott sei Dank- anstößig. Was weiß man denn schon, wie
andere Menschen ihr Leben führen, welche Ziele sie wirklich verfolgen,
ob ihnen für den beruflichen Erfolg alle Mittel recht sind, usw…
Aber
Miteinander Essen hat noch eine viel wertvollerer Bedeutung, im alten
Orient wie heute. Essen verbindet Leib und Seele und die Menschen, die
miteinander am Tisch sitzen. Das Lebensnotwendige besteht aus zweierlei:
Aus der Nahrung und daraus, dass wir, wenn wir miteinander essen,
zusammengehören und uns verstehen und quasi gleichermaßen bedürftig
sind, dass uns die lebensnotwendigen Dinge geschenkt werden.
Biblisch werden Essen und Trinken als Gabe Gottes verstanden.
Beim
letzten Mahl Jesu teilt Jesus Brot und Wein aus und erkennen daran
seine Hingabe. Nicht umsonst heißt das Gemeinschaftsmahl Agape,
Liebesmahl und ist im Ursprung auf das Teilen der Speise zwischen
Reichen und Armen angelegt. Eine Mahlzeit erinnert daran, dass Gott uns
allen gibt, was wir zum Leben brauchen und dass er unverdient gibt und
alle an seinem Tisch willkommen sind.
Wir essen und trinken auf diese Weise ein wenig „Ewigkeit“.
Dass
Jesus ausgerechnet einen an seinen Tisch holt, der in der Augen der
religiösen Elite eine „No go“-Person ist, macht das Bild noch schärfer:
Eine Tischgemeinschaft der Nicht-Perfekten ist auf Barmherzigkeit
angewiesen. Der Gastgeber sortiert seine Gäste nicht aus, sondern lädt
sie immer wieder ein an seinen Tisch.
In der Bibel finden sich viele
Stellen, an denen die Barmherzigkeit das Schlüsselwort ist dafür, wie es
Gott mit seinen Menschenkindern hält und im Neuen Testament dafür, wie
die Nachfolge auszusehen hat.
Ein Mangel an Barmherzigkeit führt
zur Krankheit, die nicht die körperliche meint, sondern die Krankheit,
die den Menschen, den Gott geschaffen hat, von ihm trennt. Der Arzt – um
im Bild zu bleiben – ist der Gastgeber, der seinen Tisch immer wieder
neu offen hält. Dass sich Jesus dem Matthäus zuwendet, hat nichts mit
dessen Lebensleistung zu tun, sondern mit Barmherzigkeit. Er sieht auch
in ihm einen Menschen, der von Gott gewollt und angenommen ist.
Solange er lebt, steht ihm seine Tür und Tisch offen.
Es
mag vielleicht ein wenig sonderbar sein, dass der Bedürftige ein
wohlhabender Mann ist. Ein gut verdienender Beamter. Aber gerade sein
Wohlstand scheint der Haupthinderungsgrund für die Umkehr gewesen zu
sein. Auch wenn von außen betrachtet er alles hat, was er braucht, ist
es eben gerade nicht der Fall. Er braucht etwas ganz anderes. In dem
Moment, wenn Jesus ihn ansieht, ändert er sein Leben. Und es werde
Licht! Und es ward Licht! Von jetzt ab wird er sein Leben nicht um
seiner selbst willen führen, sondern um seinetwegen (Jesus). Und
Nachfolge heißt für ihn, selbst zu einem Menschen werden können, der
barmherzig sein kann.
Man kann die Verse im Matthäusevangelium so verstehen:
Wen Gott ansieht, der kehrt auch um.
Wir können es nicht nachprüfen oder beweisen oder festhalten, wann, ob und bei wem das der Fall ist.
Aber wir können etwas anderes. Und dass sagt Jesus hier überdeutlich:
Lernt, was das heißt: »Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.« Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder.
Wenn Jesus persönlich am Werk ist, geschieht das Wunder der Umkehr. Er sagt Folge mir nach. Und der Mensch folgt ihm nach.
Wie gesagt – wir können nicht sagen, nicht ausrechnen, nicht wissen, wann Jesus persönlich am Werk ist, aber:
Wir können lernen oder üben, was Barmherzigkeit ist.
Nachahmen,
kopieren, selber versuchen, vielleicht damit scheitern, an die eigenen
Grenzen kommen, sich ausgenützt fühlen, es wieder versuchen, sich darum
bemühen, einen Platz am Tisch freizuhalten, sich von den eigenen
Vorurteilen frei machen, auf andere zugehen,
vielleicht gerade auf
den, den ich am wenigsten leiden kann, vielleicht wieder enttäuscht
sein, vielleicht ausgelacht werden, sich wieder sammeln, von neuem es
versuchen, versuchen zu vertrauen, lernen, üben, von vorne anfangen…
Gott – das glauben wir – ist der Grund unseres Daseins ist. Dann gilt doch auch:
Am
letzten Schöpfungstag in der Bibel schafft Gott den Menschen Menschen
und da steht es wörtlich: Und Gott sah an alles was er gemacht hatte,
und siehe, es war sehr gut!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN