Historisches über die Lutherkirche Köln

In ihrer über 100-jährigen Geschichte hat die Lutherkirche in der Kölner Südstadt schon vieles
erlebt und überlebt

Wie sie die Räumlichkeiten heute nutzen und empfinden, davon erzählen Thomas Frerichs und Hans Mörtter unter „Kirchenraum“.

Der Architekt Volker Langenbach hat sich Gedanken über die Verbindung von Spiritualität und Kirchenraum gemacht. Seine erhellenden Gedanken finden Sie unter „Architektur und Transzendenz“.

In unserer Zeittafel geben wir Ihnen ein paar Fakten und Daten zur Zeitgeschichte in Bezug auf die Lutherkirche. Wussten Sie, zum Beispiel, dass Pfarrer i. R. Hans Mörtter 35 Jahre lang an der Lutherkirche gewirkt hat?  Oder wann die Lutherkirche wiederaufgebaut wurde?

Zeittafel der Lutherkirche
1906 bis heute

Die Lutherkirche wurde 1906 erbaut und im Zweiten Weltkrieg zerstört. Nur noch der Turm erinnert an die alte Kirche, hier in einer Lithografie von 1906 abgebildet.

Hermann Vogel erstellte diese Zeittafel anlässlich des 100. Geburtstages der  Lutherkirche 2006. Wir haben sie seitdem fortgesetzt und sie gibt einen kurzen, aber prägnanten Überblick über die Geschichte des Gotteshauses.

Mensch und Raum

Nicht die große, um Aufmerksamkeit heischende architektonische Geste prägt diese Kirche, sondern es ist der einzelne Stein, der gleich den Gliedern der Gemeinschaft das Ganze erschafft. Die Steine geben sich gegenseitig Halt. Ihr Verbund ermöglicht Stabilität.

Auf der Suche nach uns selbst erleben wir einen Raum, der mit seiner Leere den notwendigen Freiraum lässt. Die Leere des Raumes wirft den Ruf des Suchenden auf ihn selbst zurück.

Klarheit in der Raumbildung, kein barockes Abbild eines imaginären Reiches Gottes, sondern das Wesentliche „sichtbar-machen“, so tritt die Architektur in einen Dialog mit den Menschen, der von großer Aktualität ist.

Die reduziert eingesetzten architektonischen Mittel geben den Menschen Raum. Der offene, klare Raum bietet Zuflucht, „hier darf ich ankommen“. Dabei bringt die Höhe des Raumes die Erdenschwere der Wände ins Gleichgewicht.

Darüber hinaus wird die Monumentalität der Wände durch die asymmetrische Anordnung der Öffnungen gebrochen. Diese Brüche sind es, die eine Nähe zum Menschen herstellen.

Der Erdverbundenheit der Wände und des Bodens werden die Buntheit der Fenster und das plastische Streiflicht im Altarraum als Kontrapunkte gegenüber gestellt.

So bekommt der Raum sein Gleichgewicht. Eine Harmonie stellt sich ein, wie sie nur von einem „von Gott beseelten“ Architekten geschaffen werden kann. Ein Raum, der mit den Menschen in Balance ist, Schutz und Verheißung zugleich. Die Gemeinde, die hier versammelt ist, ruht in sich selbst.

Licht wird wie ein kostbares Gut sparsam behandelt, so wird es zu einer Botschaft aus einer fernen Welt. Im Innern des Kirchraumes wird die Außenwelt nur noch spärlich angedeutet. Selbst das raumhohe Fenster an der Südostwand ist mit tiefen Betonlaibungen und antikem Glas so trennend gestaltet, dass die Erinnerung an das Atrium dahinter nur eine leise Ahnung bleibt. Ein schemenhafter Blick auf das Vergangene, den Hinweg, und das Zukünftige, den Rückweg. Der Lichteinfall aus dem Fenster zum Atrium umschmeichelt den Besucher selbst bei hartem Sonnenlicht sanft wie in einem Blätterwald. Doch es gibt auch eine Steigerung in der Lichtführung. Von der Dunkelheit am Eingang unter der Orgelempore hin zur Helligkeit des Altarraumes mit den raumhohen, seitlichen und ebenfalls blickdichten Lichtöffnungen. Der Bogen der Altarwand unterstützt dabei den Eindruck der Befreiung.

Radikal fragmentarisch wirkt das fragile Gefüge aus Glassplittern des kleinen, quadratischen Fensters über der Kanzel. Die farbliche Grundstimmung ist kräftig, dunkelrot und purpur gemischt mit Meeresfarben von Türkis bis zu einem tiefen Blau. Die Meeresfarben blasser aufnehmend, aber um so größer in der Fläche ist das Fenster neben der Orgel, es bringt die asymmetrische Anordnung der Orgel und deren Farbigkeit an der rückseitigen Querwand der Kirche ins Gleichgewicht. Material und Wirkung Decke, Wände und Boden erzeugen eine Körperlichkeit, deren Magnetismus innerhalb des Raumvolumens wie eine schützende Hülle „Heimat“ bietet.

Die innen sichtbaren, tönernen Dachziegel des Satteldachs und die im Innenraum erlebbare archaische Stärke der Mauerwände stehen für einen Raum, der beherbergen und schützen möchte. In den Außenwänden ragen einzelne aus dem Maß geformte Brandsteine heraus, wie Findlinge in einem mediterranen Bauernhaus. Schlichte Holztüren weisen den Weg. Die Stufen zu Orgel und Kanzel, frei aus dem Mauerwerk herauswachsende Platten, setzen im Innern dieses Thema fort.

Die hartgebrannten Handstrichziegel zeugen von dem Wiederaufbau nach dem Krieg, „Neues Schaffen“ mit einfachen, vorhandenen Mitteln. In der Fügung der Steine an den Laibungen der Fenster wird eine Detailsorgfalt sichtbar, die uns von einem liebenden Architekten erzählt. Über drei Stufen erhebt sich sanft der Altarraum wie ein Teppich aus Travertin, aus dem ein Altartisch in gleicher Materialität entwächst. Der Altar, Tisch und aus dem Boden gewachsener Fels zugleich, wirkt schwebend und schwer, ganz in sich ruhend. Seitlich des Altarraumes, eine Stufe unter dem Bodenniveau, markiert die wasserfarbene Mosaikoberfläche, aus der sich bauchhoch ein roher Travertinstein mit Taufschale erhebt, einen Ort, der die Erinnerung an plätscherndes

Wasser in sich trägt. Gleich Engelsflügeln schwebt der Prospekt der Orgel auf einem schmalen Sockel auf der Empore und bringt damit, die Bedeutung der Orgel unterstützend, das Transzendente ins Spiel.

Text: Architekt Volker Langenbach

 

Ein geschützter Raum

Gemütlich ist der Raum zunächst nicht, aber der Backstein der Wände strahlt für mich Wärme aus. Es ist schön, dass der Raum die fast kreisförmige Sitzanordnung zulässt. Dadurch betont er die Gemeinschaft.

Das absolut Schöne an dem Raum ist, dass er das spirituelle „Zusammen-Feiern“ ermöglicht. Das ist ganz klar ein geschützter Raum.
Kantor Thomas Frerichs

Ein dialogischer Raum

Da steht zum Beispiel eine Urne oder ein Sarg, es entstehen teilweise schwierige Situationen, bei denen man fast den Atem anhält und dann irgendwann findet dort die Karnevalsfete oder der Tangogottesdienst statt, das gehört alles dazu.

Manchmal denke ich, atmet hier noch jemand? Soviel spirituelle Dichte lässt dieser Raum zu.

Im Rückblick fällt mir auf, dass die Offenheit des Raumes, unsere Suche nach den verschiedenen Möglichkeiten Abendmahl zu feiern, immer zugelassen hat.

Der Raum gibt das eben her, dass ich erst einmal ankommen kann. Dass ich hier sein kann. Dass ich für den Augenblick hier zu Hause bin, mit dem was mich bewegt.

Ein dialogischer Raum auch, weil er Begegnungen ermöglicht, erst einmal mit mir selbst und dann darüber hinaus. Ich kann darin frei sein und loslassen und damit empfänglich werden.

Kirchenraum als Werkstatt – So entstand das Wandbild

Den Maler des Wandbildes, Christos Koutsouras, habe ich außerhalb der üblichen Kirchenszene kennen gelernt. Das Bild hat sich wie selbst-verständlich aus unseren gemeinsamen Gesprächen entwickelt. Erde, Blut, Versöhnungsritus, Opfer, all das hat uns schon vor dem Bild in den gemeinsamen Gesprächen beschäftigt. Als Künstler hat er dann die Kraftdimensionen entdeckt. Eine ältere Dame aus der Gemeinde hat die Leinwand genäht. Gemalt hat der Künstler rund um die Uhr auf dem Boden der Kirche. Die Kirche war vier Wochen lang eine Werkstatt. Die Bänke waren an die Seite geräumt. Von dort haben die Menschen den Prozess beobachtet. Der Prozess im Dialog mit dem Ort war der Wahnsinn. Ohne den Ort wäre das Bild so nicht entstanden.

Pfarrer i. R. Hans Mörtter

 

Welche Bedeutung die Künste für uns haben, erleben wir, wenn keine oder kaum Veranstaltungen, Ausstellungen und Gottesdienste stattfinden können. Es fehlt etwas Essentielles, das über reinen Zeitvertreib hinaus geht, es fehlt das gemeinsame Erleben, es fehlt der Genuss und/oder die Reibung, die durch Kunst entstehen können.

Als Hans Mörtter 1987 Pfarrer der Lutherkirche wurde, engagierte er fast umgehend Künstler und Künstlerinnen und widmete sich ebenfalls dem Turm der Lutherkirche. Der hat seit dem Zweiten Weltkrieg keine Spitze mehr, Einschlagspuren von Granaten und erzählt allein durch seine Existenz von den Auswirkungen von Gewalt. Heute ist Hans Mörtter im Ruhestand, aber unser Kurator Rochus Aust führt die Ausstellungen im Turm weiter.

1989
Der damalige Presbyter Hermann Vogel war von 1989 bis 2017 als Kurator für „kunst im turm“ verantwortlich und hat eine beachtliche Anzahl von hochwertigen Ausstellungen auf dessen verschiedenen Etagen kuratiert. Als er 2017 verabschiedet wurde, würdigte Pfarrer Hans Mörtter ihn mit emotionalen Worten: „Weite statt Enge / Freiheit und Mut statt kleinmütiger Angst / die Lutherkirche mit Ihrem Gütesiegel / das sind Sie für mich und werden es immer bleiben / Und so mache ich weiter mit Ihnen im Rückgrat und im Herzen“. Wir haben den feierlichen Abschied von Hermann Vogel dokumentiert.

1995
Kein Künstler hat das Interieur der Lutherkirche so geprägt wie Christos Koutsouras, als er 1995 das 12 mal 6 Meter große Wandbild malte, das hinter dem Altar angebracht und heute ein Wahrzeichen der Lutherkirche ist. Pfarrer Hans Mörtter erinnert sich: „Fünf Wochen lang arbeitete er auf dem Boden der Lutherkirche rund um die Uhr daran wie ein Besessener und er stand vor einer fast unmöglichen Aufgabe. Dabei kam er und ging er, und immer schauten Menschen herein, auch nachts mit Staunen und spannenden Gesprächen: Eine Gemeinde im Prozess“. Seit Karfreitag 1995 hängt es dort und 2020 fand an diesem Tag erstmals kein Gottesdienst vor dem Wandbild statt, am höchsten Feiertag der Protestanten und Protestantinnen.

Ebenfalls 1995 wurde der Vringstreff e. V. unter Mitwirkung von Pfarrer Hans Mörtter gegründet, eine Begegnungsstätte für Menschen mit und ohne Obdach, mit Beratungsmöglichkeiten und einem Restaurant, in dem Obdachlose für kleines Geld eine Mahlzeit einnehmen können. Malkurse, Kunstausstellungen, Krimi-Lesungen oder der jährliche Besuch des Kölner Dreigestirns erlauben Menschen am Rande der Gesellschaft die Teilhabe an Kunst und Tradition. Die Obdachlosen, Straßenmusiker:innen und wirtschaftlich Schwachen sind besonders von der jetzigen Krise betroffen.

1998
Der kulturelle Förderverein der Lutherkirche Südstadt Leben e. V. wurde 1998 gegründet und ist für die künstlerischen und gesellschaftlichen Veranstaltungen in der Lutherkirche zuständig. Unter der Leitung von Sonja Grupe mauserte sich die Lutherkirche u. a. zu einem beliebten Ort für Weltmusik. Tanzen, Mitsing-Abende, Bazare, Flohmärkte und die Partys machen seitdem die Lutherkirche zu einem beliebten Treffpunkt.

2001
Im Jahr 2001 gründeten der italienische Jazz-Saxophonist Alessandro Palmitessa und Pfarrer Hans Mörtter das Menschensinfonieorchester (MSO), das zunächst für Menschen mit und ohne Obdach gedacht war, in dem heute Menschen verschiedener Ethnien, sozialer Herkunft, gesellschaftlicher Stellung sowie Menschen mit Krankheiten und Behinderungen gemeinsam musizieren. Das MSO hat schon drei CDs aufgenommen und im Jahr 2021 sein 20jähriges Bestehen gefeiert. Die Finanzierung und der Erhalt des Orchesters muss immer wieder neu durch Spenden gesichert werden.

Seit 2017
Im Jahr 2017 übernahm Rochus Aust das Amt des Kurators der Lutherkirche und stellt jeden Monat eine Soirée sonique auf die Beine, und er hat sich auf Klangbasierte Künste spezialisiert, was sich in seinen Ausstellungen niederschlägt. Die ehemalige „kunst im turm“ findet jetzt unter LTK4 statt. Diese Mischung von visueller und akustischer Kunst brachte Rochus Aust 2019 den Kölner Kulturpreis für „Junge Initiativen“ ein. Videos hier.

Bis 2016 gab es jedes Jahr die Nachtstillen, die an mehreren Abenden vor Ostern und vor Weihnachten stattfanden. „Diese Nachtstillen wollen wir als ein ‚Lebensprinzip‘ anbieten, um zur Ruhe zu kommen, nicht zugedröhnt zu werden, einfach still zu sein und diese Stille zu genießen. Das erfolgt mit einfühlsamer Musik (auch Obertongesang) und einem aussagekräftigen Text. Hier entsteht ein Raum, in dem ich anhalten und mich in ein Gesamtgefüge hineinnehmen lassen kann, damit vielleicht etwas ins Schweben gerät. Ich halte an und bin,“ meinte damals Hans Mörtter. – Rochus Aust hat statt der Nachtstille und der bisherigen „passio“ im Jahr 2018 das Format „Unterbrechung“ erschaffen, einen Raum für Stille, Empathie und Schwerelosigkeit: „Die Größe von Empathie hat keinen Raum mehr in uns, weil schon zu viel Lärm und Information und tägliches Brot den Platz dort wegnehmen. Ein Katzenvideo hier, ein süßes Baby dort, mehr ist nicht mehr zu wollen. Und in der Konsequenz schwindet auch die Selbstempathie. – Die Stille beobachtet dies und legt es bestenfalls frei und könnte Voraussetzung für eine Erkenntnis sein, wenn sie nicht gleichzeitig soviel Verdecktes und Verstecktes aufwirbeln würde, das loszuwerden zunächst unmöglich erscheint. – Der Kosmos, die Schönheit der Schöpfung, könnte die Lösung sein“.

Der deutsche Bildhauer Ulrich Rückriem lebt in der Kölner Südstadt und ist ein Bekannter von Pfarrer Hans Mörtter. Im September 2017 wurde er zum Kölner Talkgottesdienst in die Lutherkirche eingeladen, in der er zuvor sieben seiner Zeichnungen angebracht hat. Rückriem erklärte während des Talks: „Man kann Kunst eigentlich nicht erklären. Aber ich versuche es; da ist ja eine Logik drin in den sieben Punkten meiner Zeichnungen. Ich verteile sieben Punkte auf ein Blatt und verbinde vom ersten zum zweiten zum dritten zum vierten zum fünften zum sechsten zum siebten, und der siebte geht wieder an den Anfang zurück, das ist das Prinzip“. Seitdem werden sieben der bei der Erbauung von Hand geblasenen wabenförmigen Fenster von originalen Rückriem-Zeichnungen geziert.

Im August 2021 gestaltete die Lutherkirche unter der Federführung von Sonja Grupe, der Organisatorin vom Südstadt Leben e. V. ein Weltmusikprojekt auf Video. (Video und Beschreibung, siehe unten). Dieses gibt einen Überblick über die Vielfalt der musikalischen Darbietungen an der Lutherkirche.

Die Kunst und die eigene Kreativität eröffnen neue Lebensräume und bringen uns unserem inneren Funken näher; sie macht einen Teil des Menschseins aus und verbindet uns mit uns selbst, mit Gott und mit den anderen. Es ist wichtig, dass wir uns das erhalten.

Text: Helga Fitzner

Spendenaufruf
Kunst kostet nun mal Geld, weil wunderbare Menschen davon leben. Wir brauchen aber auch dringend für die gesamte Arbeit Spenden. Die fließen insgesamt in unsere Projekte.

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